In einer Welt, in der Technologie und Konsum uns ständig beschäftigen, können wir leicht vergessen, dass die wahre Herausforderung nicht darin besteht, unsere Zeit zu füllen, sondern vielmehr darin, uns selbst zu finden. Die Langeweile, oft als negativ empfunden, kann uns dazu bringen, innezuhalten und uns mit unseren eigenen Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen.

Vom Ursprung der Langeweile
Alle scheinen besorgt, mein Leben bequemer zu machen. Sie preisen mir allerhand Schnickschnack. Sie sehen mich im Schongang durchs Leben und erst noch effizient.
- Google übernimmt mir das Denken.
- ChatGPT übernimmt mir das Schreiben.
- Audible übernimmt mir das Lesen.
- Kitchenaid übernimmt mir das Kochen.
- Super sein geht einfach und schnell oral via Superfood.
- Die Pappteller übernehmen mir den Abwasch.
- Der Persönlichkeitstest übernimmt mir die Partner- und Partnerinnenwahl.
- Ultraleicht entlastet mich von 200 g Eigengewicht, gibt Platz für zwei zusätzliche Schokoriegel.
- Der Highspeed Snapdragon 8+ Prozessor spart mir addiert 7 sek./Tag Handyzeit.
Geschmeichelt fühle ich mich nach all der Zuwendung. Die Dinge passen zu mir wie angegossen, besser noch als das Tages-Horoskop. Ich bin geschmeichelt, mit geweiteten Pupillen und verliebtem Lächeln gebe ich mich hin. Später lag ich wach im Bett und frage mich: Sind diese Dinge tatsächlich zugunsten meines Wohlbefindens und wenn ja, wie gross ist mein netto Kuchenstück?
Zwei Gedanken möchte ich bedenken:
- All die Dinge machen mich sternhagelvoll abhängig. Ich verlerne das Denken, das Schreiben, das Lesen, das Kochen, das Super sein, das Abwaschen, die Menschenkenntnis, 200 g Tragfähigkeit, 7 Sekunden Geduld. Eine Art Krücken, wenn ich zu lange damit herumlaufe, werde ich wie Gummi. Wie bringe ich in diesen Gummi wieder Spannung rein? Abhängig sein ist mein Ausdruck von minderem Selbstwert. Meiner Angst vor Aktivität, meiner Angst vor dem Leben. Aber ich bin selbst das Leben, ich kann mich dem nicht entziehen. Je mehr ich mich entziehen will, desto mehr fordert mich das Leben auf, zu leben. Meine Abhängigkeit und Passivität sind eine Strategie, mich zu verweigern und Unangenehmes zu verdrängen. Ich bleibe so lange unter dem Radar, bis mich die Unterlassungsschuld ortet. Dann komme ich ins Verhör, wobei nur noch die Wahrheit zählt.
- All die kreativen Bemühungen, Lebenszeit zu sparen, bringen mich vor die Frage: Womit soll ich diese eingesparte Zeit totschlagen? Glücklicherweise ist die Welt voll mit attraktiven „Problemlösern“. Solange die Wirkungen der Teams Zeit-Sparen und Zeit-Totschlagen in Harmonie schwingen, Yin und Yang, scheint mir die Rechnung wunderbar aufzugehen. Schwappt jedoch das eine über, komme ich in Zeitnot und schwappt das andere über, dann habe ich sie: Die Langeweile.
Was ist Langeweile?
Sie ist die Leerstelle, das Vakuum, der Moment, wo ich beim Schaukeln kurz schwebe, bevor mich die Schwerkraft zurückschwingt. Ich sehne mich nach ihr und fürchte mich zugleich. Der Moment, wo die äusseren Reize ausbleiben und ich, voller Spannung, auf einen inneren Reiz bange. Die Hoffnung, er würde mir bekömmlich sein, war das letzte, woran ich mich erinnere, bevor es mich überkam:
Ich rollte die Augen, wie Frodo, wenn ihn das Auge erblickte und die Ringgeister über seinem Kopf kreisen. Ein Schauer zieht nach oben, gleichzeitig einer nach unten, einer nach rechts und … kurz um in alle Richtungen. Je mehr es zieht, desto mehr entspannt es sich. Ziemlich angenehm, da will ich ein bisschen Zeit verbringen, denke ich mir. Die Langeweile antwortet: Ach, langweilig. Es entspannt mich weiter, so sehr, dass ich einfach auseinanderfalle. Wie eine Gliederpuppe, der der Gummi platzt.
Ich schwebe, meine Einzelteile umkreisen einander, ich erinnere mich an das Sonnensystem. Ich höre eine Stimme, sie belehrt mich. Etwas von einer Analogie zwischen Pluto und meinem Kopf. Ich höre nicht zu, es gibt allerhand reizvolleres zu staunen. Zu viel, meine Augen kollabieren und schliessen sich. Jetzt sehe ich alles für eine Millisekunde. Danach, alles ruhig und weiss, reizarm. Ich beobachte mich, wie ich meine Einzelteile zusammennähe; es geschieht nach einem komplizierten Stichmuster. Dann, kurz vor Ende, stopfe ich etwas in mich rein, es wirkt liebevoll und wohlgesonnen. Ich frage, was ist das? Ich höre: Pip Pipiip, Pip, Pipiip… Ich öffne die Augen. Morgenstund’ hat Gold im Mund.

Ideen bei Langeweile
Ich ging mit einem pelzigen Gefühl im Mund aus dem Haus. Den Gedanken, ob das wohl der Geschmack des Goldes ist, verfolge ich nicht. Ich verfolge den Duft der Bäckerei. Ich bestelle Buttergipfeli und doppelten Espresso, alles frisch bitte, express und ja, To-go. Als ich mir das Gipfeli reinstopfte, erinnere ich mich an den Traum und die Frage, was ich mir da reinstopfte? Ich verfolge den Gedanken nicht. Als ich seit Stunden mit einem pelzigen Gefühl im Mund herumlaufe, erinnere ich mich an den Traum und die Frage, was ich mir da reinstopfte? Ich verfolge den Gedanken nicht, aber eines ist klar: Ich bin neugierig und möchte mich am Abend langweilen.
Egal, was ich mir reinstopfe, es ist alles von selbst Qualität, es hinterlässt dasselbe Ergebnis, es schmeckt nur verschieden. Die innere Leere, die sich im Gefühl der Langeweile meldet, kann ich nicht mit Gipfeli und Espresso auffüllen. Der innere Hunger lässt sich nur innerlich füttern. Das Gefühl der Leere kann ich mit Gefühl füllen. Mit Gefühlen der Selbstachtung, des Selbstwertes oder der Selbstwirksamkeit. Meinetwillen.
Was kann man machen, wenn man Langeweile hat?
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Ich war letzthin in Gesellschaft, ein Kind liess in der Runde ganz allgemein verlauten: «Mir ist langweilig.» Die Selbstbezüglichkeit der anwesenden Personen war bemerkenswert. Es schien, als fühlten sich alle dafür verantwortlich, dass sich der Junge offenbar langweilte. Die einen Gesichtsausdrücke sprachen von der Bestätigung der Selbstwahrnehmung: «Ich bin langweilig», die meisten reagierten aus Selbsterfahrung als unterhaltsam bewerteten Angeboten: Eiscreme, Schaukeln, Smartphone. Der Junge entschied sich für alle drei gleichzeitig.
Und ich? Ich blieb untätig. Ich kam an dem Tag mit einem leichten Hauch von Unterlassungsschuld nach Hause. Unangenehm, ich versuchte mich mit Langeweile abzulenken. Ich nahm mir schliesslich vor, in einer nächsten ähnlichen Situation zu reagieren: Die Langeweile kommt von Innen.
Und ich tauche ein, weiter und weiter, in die unergründeten Tiefen der Langeweile.